
Weihnachten einmal anders
Unsere Weihnachtrunde wurde immer kleiner: erst starb meine Mutter, dann die Schwiegermutter, mein Vater und nun war am 24. November 1994 auch Tante Hanne verstorben. Alle unsere lieben Weihnachtsgäste hatten uns verlassen und wir waren verwaist.
Da bekam ich, wie ich meinte, eine glänzende Idee! „ Weißt Du“ sagte ich zu meinem Mann „wir haben viele Jahre unseren Lieben ein schönes Weihnachtsfest beschert, nun sind wir einmal dran!“. Ich hatte auch gleich einen Vorschlag parat. Ich schlug vor, dass wir in den Schwarzwald in ein wunderschönes 4 Sterne Hotel fahren und uns da mal so richtig verwöhnen lassen würden. Ich träumte von einem schön geschmückten Haus, mit einem wunderbaren Weihnachtsbaum, mit einem prasselnden Kaminfeuer, einem Wirt, der am Kaminfeuer sitzend, schöne Geschichten vorliest und wir um ihn herum mit Glühweingläsern in der Hand zuhörten. Ich hoffte, das wir nette Menschen kennen lernen und zu später Stunde die schönen alten Weihnachtslieder singen würden. Als ich diese Idee meinem Mann erzählte, war er wenig begeistert. Seine Träume gingen in Richtung zu Hause bleiben, sich in den Feiertagen mit Freunden treffen, gemütlich lesen und sich über die Ruhe zu freuen. Aber mir zu liebe willigte er ein und wir suchten uns im Schwarzwald einen kleinen gemütlichen Ort mit einem 4 Sterne Hotel aus.
Voller Erwartung fuhren wir los. Wir kamen in einem winterlich verschneiten kleinen Ort an. Die Dorfkirche lag malerisch in der Mitte des Ortes und wir stellten fest, dass wir gut zu Fuß zum Weihnachtsgottesdienst gehen konnten. So freuten wir uns auf den hl. Abend. Ich hatte das tolle Gefühl, das sich alle meine Wünsche erfüllen würden. Den schön geschmückten Weihnachtsbaum hatten wir ja schon gesehen.
Fröhlich fuhren wir am 24.12. mit dem Fahrstuhl zum Frühstück runter. Da hörte es aber leider mit der Fröhlichkeit auch schon auf und machte einer tiefen Enttäuschung Platz. Im Fahrstuhl hing ein Aushang: „Liebe Gäste, bitte haben Sie Verständnis, dass wir Weihnachten mit unseren Familien feiern wollen. Es gibt heute Mittag ein schönes Essen und dann werden das Restaurant und die Bar geschlossen. Am 25. geht dann wie gewohnt der Hotelbetrieb weiter. Wir wünschen Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest.“ Wir versuchten es dann noch in den benachbarten Hotels, wo leider ebenfalls solche Aushänge zu lesen waren.
In einem kleinen Tante Emmaladen kauften wir uns einiges für einen kleinen Imbiss am Abend. Nachdem wir einen schönen Spaziergang durch die Winterlandschaft gemacht haben und im Weihnachtsgottesdienst waren, sind wir etwas durchkühlt wieder in unser Hotel gekommen. Ein heißer Tee oder Glühwein oder gar ein Kaminfeuer wären jetzt hoch willkommen gewesen! Aber nichts von dem erfüllte sich.
Wir saßen auf der Bettkante, packten unsere Weihnachtsgeschenke aus ohne eine Kerze, bei Oberlicht, weil die Nachtischlampe zu dunkel war. Es war unglaublich ungemütlich und hatte keinerlei Weihnachtszauber. Zum Glück hatte mir mein Mann „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann geschenkt.
Silvester hing im Übrigen der gleiche Aushang im Fahrstuhl, das war uns aber nicht mehr interessant, weil in der Zwischenzeit mein Mann eine fette Grippe bekommen hatte und ohnehin im Bett bleiben musste.
DER ERFOLG:
Ich habe nie wieder den Wunsch geäußert, Weihnachten im Schwarzwald in einem 4 Sterne Hotel verwöhnt zu werden.
Agathe von Wedel