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17.12.2023 - Unsere Weihnachten 1981

16.12.2023

Adventskalender - von uns für uns

Unsere Weihnachten, von Agathe von Wedel

Als mein Vater als Pastor pensioniert wurde, zogen meine Eltern im Januar 1969 von Magdeburg in die Bundesrepublik nach Göttingen. Sie  fanden, Tante Hanne Müller solle doch auch nach Göttingen übersiedeln, aber sie weigerte sich standhaft. In Michendorf war sie zu Hause, da hatte sie ihren Platz im Leben. In Göttingen wäre sie nur Schwester und Schwägerin gewesen, immer ein Anhängsel. Nein, so hatte sie sich das nicht vorgestellt. Meine Eltern waren mit ihrer Entscheidung nicht recht einverstanden, aber was sollten sie machen. Alles Reden half nichts, Tante Hanne blieb in ihrem Michendorf und in ihrem Häuschen. Die Eltern haben dann Tante Hanne jedes Jahr zu Weihnachten eingeladen. Als meine Mutter schwer an Rheuma erkrankte, gaben die Eltern ihren Vorsatz auf, nie in den Kinderhäusern Weihnachten zu feiern. Meiner Mutter wurden die Vorbereitungen für das Fest zu viel. Aber nun tauchte die Frage auf, was wird aus Tante Hanne? Alle die Jahre war sie bei den Eltern gewesen. Also schrieb mein Mann ihr einen lieben Brief, ob sie nicht Lust hätte, mit uns Weihnachten zu feiern.

Weihnachten 1981 kam sie  schwer bepackt mit einer Tasche voller Äpfel für meinen Vater und einem großem Beutel Pfefferkuchen, von denen mein Mann den Hauptteil aß, weil sie die einzigen waren, die wie Pfefferkuchen schmeckten. Wir waren eine große Weihnachtsrunde. Die Eltern, Tante Hanne, die Schwiegermutter, meine Schwester mit ihren Kindern. Später kamen dann noch meine Schwägerin für einige Tage und jeden Tag viele Verwandte, die meine Mutter sehen und Tante Hanne in der Bundesrepublik begrüßen wollten. Tante Hanne war an allem sehr interessiert. Eines Morgens beschlossen wir, Tante Hanne muss amüsiert werden. Nur Porta-Markt, nur spazieren gehen, nur zuhause Verwandte begrüßen, das konnte doch nicht alles sein! Also wollten mein Vater, Tante Hanne und ich nach Hannover fahren. Es war ein kalter Wintertag. So kalt, dass wir gar nicht bemerkten, dass der Boden an einigen Stellen vereist war. Kurz vor der Autobahn kamen wir ins Schleudern und der Wagen fuhr eine Böschung hinab. Wir hatten alle drei einen tüchtigen Schrecken bekommen. Besonders ich bekam es mit der Angst, denn mein Vater war immerhin schon 78 und Tante Hanne 75 Jahre alt. Aber als wir sahen, dass keiner etwas abbekommen hatte, atmete ich erleichtert auf. Doch da ging es erst richtig los. Ehe Vater und ich uns recht versahen, bekamen wir einen anständigen Anpfiff. Das könnten wir mit ihr nicht machen, schließlich sei sie 75 Jahre alt, und dafür sei sie nicht nach Minden gekommen, um solchen Unsinn zu erleben. Sie sei gekommen, um hier Weihnachten zu feiern, und nicht, um im Straßengraben zu landen. Nach Hannover wolle sie nun auch nicht mehr. Sie wolle jetzt nur noch nach Minden und da würde sie alles meiner Mutter erzählen. Sie sei schließlich schon zu alt, dass man solchen Unfug nicht mehr mit ihr machen könne. Mein Auto war gar nicht wichtig, was im Grunde gut war, denn ich war nun auch erst einmal daran interessiert, die beiden ordentlich zuhause abzuliefern. Ein hilfreicher Autofahrer brachte uns nach Haus. Aber kaum waren wir im Haus, ging sie sehr energisch die Treppe hinauf und schimpfte die ganze Zeit laut, dass man so mit ihr nicht umgehen könne. Mein Mann stürzte aus seinem Arbeitszimmer, meine Schwester  kam aus der Küche gelaufen, die Kinder ließen ihre Spielsachen im Stich, Vater und ich standen wie begossene Pudel da, und dann war sie in Mutters Zimmer angelangt. Wir hörten nur noch, wie Mutter ganz entsetzt fragte: „Was ist denn geschehen?“ Dann schlug die Tür mit Karacho zu. Nach unserer Schrecksekunde, fingen wir alle an zu lachen, denn irgendwie war es auch wieder komisch.

Einige Stunden später schlossen sich meine Schwiegermutter und sie im Badezimmer ein. Sie holten einen Hocker, man hörte sie da herumwirtschaften und lachen, schließlich rauschte das Wasser. Da beide Damen schwerhörig waren und auf einmal noch der Fön angestellt wurde, bekamen alle im Haus mit, was vorging: meine Schwiegermutter hatte sich erboten, Tante Hanne die Haare zu waschen. Die Unterhaltung über Haare und Frisöre und was sie wo kosteten, kann sich jeder denken und braucht sicher nicht aufgeschrieben zu werden. Aber es war erhebend!! Wir hatten dann ein sehr schönes Weihnachtsfest.

Tante Hanne schrieb Silvester 1981 ins Gästebuch: Hochverehrtes Publikum, das alte Jahr geht langsam um, drum ist es wohl nun ander Zeit für eine große Dankbarkeit! Den letzten Staub von meinem Haupt, ob Ihres mir wohl einmal glaubt, entfernte, sie war gar so edel, unsre liebe Gräfin Wedel. Ihr sei der erste Trunk gebracht, hat sie es nicht sehr schön gemacht? Wie es in Großfamilien Brauch, gilt unser Dank der Hausfrau auch, der der Braten gut geraten! Mit lächelnder Miene, stets hilfsbereit, steht ihr der gute Hausherr zur Seit! Dem Vater besonderer Dank gebührt, er hat den teuren Whisky spendiert. Zu reichlich war’s und auch zu Schad’, ich sah die Pfannen im Quadrat, es war dazu ganz wunderbar, es reicht mir nun bis nächstes Jahr! Wir danken auch den Gästescharen, die uns ne große Freude waren! Die Großfamilie hebt das Glas und prostet allen was zum Spaß! Prost! Eure Tante Hanne aus Michendorf, vom 22.12.81 - 4.1.8

Tante Hanne fuhr begeistert wieder ab und schrieb dann: zu ihrer großen Freude habe sie eine Michendorferin, die aus Köln kam, im Zug getroffen, der sie recht viel erzählen konnte. Sie schrieb: dass, das ganze Zugabteil sehr interessiert bei ihrem Weihnachtsbericht zugehört habe. Sie hätte ja aber auch so viel zu erzählen gehabt.

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