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23.12.2023 - Der Stern von Bethlehem

22.12.2023

Adventskalender - von uns für uns

Der Stern von Bethlehem

Auf dem Weg nach Bethlehem standen wir plötzlich vor der großen Mauer, die Israel und Palästina zerteilt; wir haben ein Foto gemacht, an einer Stelle, wo jemand in bunten Farben auf den Beton geschrieben hatte: „I have a dream“, ich habe einen Traum. Diese nächste Geschichte, ist uns besonders lieb und teuer. Sie klingt in diesen Zeiten, wo der Konflikt in Israel und Palästina so eskaliert ist, noch ein Mal anders. Eine unserer Lieblingssängerinnen, die Israelin Achinoam Nini (Noa) singt gemeinsam mit ihrer arabischen Freundin Mira Awad ein Lied, in dem es heißt: „Wenn ich weine, dann weine ich für uns beide. Wenn ich weine, dann bete ich zum Himmel über uns beiden: Es muss einen anderen Weg geben.“

Der alte Mann nahm die schwere Umhängetasche ab, setzte sich auf die Bank und begann, in aller Ruhe seine Ausrüstung auszupacken: Eine Kamera, zwei Objektive, ein Stativ. Er arbeitete sehr konzentriert. Angelockt von dem Fremden sammelten sich einige Leute auf dem Platz. Aber dass man ihn beobachtete, schien er nicht zu bemerken, oder es störte ihn nicht. „Was will denn dieser Fotograf hier?“, flüsterte es. Die Erwachsenen schüttelten den Kopf. „Vielleicht will er ein Bild von der Mauer machen“, meinte einer. „Das wäre aber kein schönes Foto“, protestierte ein anderer. „Er ist ein Fremder. Woher er wohl kommt?“, wollte einer wissen. „Er soll bloß aufpassen, dass ihn die Soldaten nicht entdecken“, wurde gewarnt. Sie wandten sich einer nach dem anderen ab und gingen weiter. Nur die Kinder blieben und näherten sich neugierig der Bank.

Der alte Mann saß da. Die Sonne hatte den Himmel zum Abschied dieses Tages in ein sattes Orange getaucht. Fasziniert betrachtete der Fotograf die Farben. Als er sich mit einem Ruck umdrehte, sprangen die Kinder erschrocken auf. Mit großen Augen guckten sie den alten Mann an. „Was willst Du denn fotografieren?“ fragte ein kleines Mädchen mit auffallend hellen Haaren. Der alte Mann beugte sich hinunter zu den Kindern, als wolle er ihnen ein Geheimnis erzählen. Sie rückten näher. Der Fotograf legte Ehrfurcht in seine Stimme, als er ihnen anvertraute: „Ich möchte den Stern von Bethlehem fotografieren.“ Die Blicke der Kinder gingen hoch zum Himmel. „Wo ist er denn?“ fragten sie. Nur das blonde Mädchen suchte seinen Blick. „Ich bin Tara. Hier aus Bethlehem. Tara ist arabisch und bedeutet Stern.“ Sie sah ihn triumphierend an und strahlte über das ganze Gesicht. Der fremde Fotograf guckte durch den Sucher in Richtung der Kinder. Sie juchzten und posierten. Er machte ein paar schnelle Bilder. Dann suchte er den Himmel ab. „Wisst ihr, dieser Stern ist strahlend hell, weil zwei verschiedene Sterne sich begegnen“, raunte er, senkte die Kamera wieder und blickte Richtung Mauer. Im selben Moment war ein Soldat bei ihm: „Keine Fotos am Grenzübergang, verstanden?“ Ungeschickt langte er nach der Kamera, aber der alte Mann wich ihm aus und machte ein paar beruhigende Gesten. Der Soldat schimpfte: „Weg hier! Sie dürfen hier nicht fotografieren.“ Der Fotograf wusste, dass er verloren hatte. Resigniert winkte er den Kindern zu und ging Richtung Grenzübergang. Man nahm ihm den Film aus der Kamera. Eine Soldatin lächelte ihn an: „Sie müssen vorsichtiger sein.“ Erstaunt über ihre Freundlichkeit, suchte er nach ihrem Namensschild und stutzte: „Sie heißen Esther?“ Sie nickte. „Ja, Esther. Ein ganz alter hebräischer Name. Er bedeutet Stern.“ Der Fotograf flüsterte: „Ja, ich weiß. Und der von Bethlehem ist so hell, weil zwei verschiedene Sterne sich begegnen.“ * Die Soldatin guckte irritiert. Er sagte: „Würden Sie mir einen Gefallen tun? Dürfte ich sie fotografieren? Mit einem der Mädchen von der anderen Seite? Bitte!“

Es werden Mauern gebaut und doch leuchten Sterne und Kinder stellen Fragen zum Glück und Träume werden weiter geträumt es werden Lieder gesungen und Freundschaften geschlossen, sogar über Grenzen und es gibt Freundinnen, die gemeinsam singen: „Wenn ich weine, dann weine ich für uns beide. Wenn ich weine, dann bete ich zum Himmel über uns beiden: Es muss einen anderen Weg geben.“

© Christina Brudereck www.christinabrudereck.de

© Alea Horst www.aleahorst.de
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